Cumulonimbus – Leseprobe

Ich sitze in der schwarzen Firmenlimo.Souverän bahnt sich der große Wagen seinen Weg durch den Stadtverkehr in Richtung Flughafen. Wenn ich die schwarze Firmenlimo benutze, geht es um wirklich wichtige Dinge. Neben mir sitzt Harvey, der verdammte Lackaffe. Er schaut in seinem übertrieben texturierten schwarzen Valentinoanzug unbeteiligt tuend nach draußen. Ich habe manchmal das Gefühl, Harvey versucht mich mit seinem Kleidungsstil zu imitieren. Aber das gelingt ihm nicht, er ist und bleibt nun mal ein Juristenyuppie. Er würde sich im Gegensatz zu mir nie trauen, Delfinleder zu tragen, dieser Spießer. Ich muss zugeben, dass ich Weinfeld einfach nicht ausstehen kann. Mir ist mal der abwegige Gedanke gekommen, dass ich ihn vielleicht deswegen nicht leiden kann, weil ich in ihm zu viel von mir sehe. Gedankenameisen. Manchmal frage ich mich, wie sich der Lackaffe wohl in Darkraven schlagen würde.Wahrscheinlich wie ein Stümper, geht es mir augenblicklich durch den Kopf. Jedenfalls ist Harvey der beste Rechtsverdreher, den es gibt, dass muss ich neidlos eingestehen. Wir haben Harvey letztes Jahr eingekauft, er arbeitet mittlerweile exklusiv für WhiteWater. Und nun bin ich mit diesem Arsch auf dem Weg zum Flughafen und werde ihn gleich in unserem Firmenjet nach Caracas schießen. Drei Halleluja, dass ich den Vorstand davon überzeugen konnte nicht mit zu dieser lächerlichen Anhörung nach Caracas fliegen zu müssen. Harvey macht es nichts aus, im Gegenteil, er arbeitet sowieso lieber alleine. Er will mich mal wieder mit Details verschonen, wie er sagt, dieser Wichtigtuer. Weinfeld lässt sich nur ungern in seine Karten schauen. Ich fühle mich genötigt, ihm noch mal die immense Wichtigkeit dieses Projektes klar zu machen. Dabei rede ich mich gerade so in Rage, dass ich befürchte, ich könnte gleich einen Herzinfarkt bekommen. Lackaffe Harvey bleibt kühl wie ein Fisch. Das bringt mich noch mehr in Fahrt. Ich bearbeite Harvey wie ein Koch ein Schnitzel paniert. Der Koch möchte unbedingt, dass es schmeckt, doch dem Schnitzel ist es egal. Mich bringt Harveys verdammte Gleichgültigkeit fast zur Weißglut. Ich spreche beschwörend auf Harvey ein, der weiter betont, gelangweilt aus dem Fenster schaut.  „Und Sie sind ganz sicher, dass uns bei der Untersuchung des Umweltausschusses keine böse Überraschung ins Haus stehen kann?“ „Sicher ist man nie.“ Harveys Zipper summt. Der blasierte Affe gibt mir per Handzeichen zu verstehen, dass der eingehende Anruf wichtig ist. Natürlich, wie könnte es auch anders sein. Alles was Harvey tut ist selbstverständlich irgendwie wichtig.Ich atme tief durch und beobachte ungeduldig Harveys ausdrucksloses Pokerface. Eigentlich bin ich froh, dass ich nicht so viel von Weinfelds Machenschaften weiß. Er soll den Sand aus dem Getriebe blasen, wie ist mir egal. Trotzdem hasse ich es, wenn Harvey so geheimnisvoll tut.Verdammter lackaffiger Geheimniskrämer. Harvey lauscht weiter konzentriert in seinen Zipper. Prompt setzt er sein dummes geheimnisvolles Grinsen auf. Er grinst wie ein verdammter Hai, ich kann es kaum ertragen. Am liebsten würde ich dem Kerl einfach mal eine Gerade mitten in sein selbstgefälliges Grinsen hauen. Einfach so. Und dann trocken sagen: Das musste jetzt sein, du selbstgefälliges Lackaffenschwein. Ich verkneife es mir schweren Herzens. Nach kurzer Zeit folgt ein „Sehr gut“, das für einen Außenstehenden kurz und emotionslos geklungen hätte, aber für Harveys Verhältnisse war es fast schon überschwänglich. Ich kenne Harvey, deswegen werfe ich ihm einen irritierten Blick zu. Er beendet das Gespräch wie gewohnt ohne sich zu Verabschieden. Ich hasse diese Angewohnheit. Harvey lächelt weiter sein Haifischlächeln. Meine Ungeduld steigt, am liebsten würde ich mir jetzt einen Schluck feines Lebenswasser die Kehle hinunter rinnen lassen. „Also Harvey, erzählen Sie mir nicht, was ich schon weiß, erzählen Sie mir, was uns bei dieser lächerlichen Anhörung passieren kann.“  „Die Baugenehmigung wird widerrufen, und dreißig Millionen Amero Schmiergeld wurden in den Gulli geschüttet …“, antwortet Harvey ausdruckslos. „Das ist nicht ihr Ernst!? Verdammt, wir reden hier über das größte Investmentprojekt, das WhiteWater jemals getätigt hat, das größte, das auf diesem beschissenen Planeten jemals getätigt wurde. Und Sie wollen mir ernsthaft …“„Sie wollten den Worst Case?!, unterbricht mich Harvey gelassen, und fährt genauso gelassen fort. „Das ist der Worst Case!“„Verdammt, wir bezahlen Sie nicht, damit Sie …“ „Ich weiß! Ich gehe nach dem Gespräch gerade nicht mehr davon aus, dass der Worst Case eintreten wird.“ Harvey grinst sein idiotisches Haigrinsen. Na bitte, ich wusste dieser Pinsel wird das schon irgendwie drehen. Ich frage nicht weiter nach. Harvey würde mir wie immer nur wieder gönnerhaft ein paar Farbkleckse anbieten, ohne dass ich oder jemand anderes daraus ein Bild malen könnte. Das würde mich nur noch mehr auf die Palme bringen. Wie auch immer er das gemacht hat, jedenfalls scheint es wirkungsvoll gewesen zu sein. Nur das zählt. Dafür nehme ich das Gehabe dieser aufgeblasenen Arschgeige gern hin und wieder in Kauf.Die Limousine ist mittlerweile an ihrem Bestimmungsort angekommen. An einem abgelegenen Hangar des riesigen Flughafens steht der Privatjet der WhiteWater startbereit mit laufenden Turbinen. Die Limousine kommt unmittelbar vor der ausgeklappten Gangway zum Stillstand. Harvey und ich betätigen gleichzeitig die Entriegelung, die Türen gleiten kaum hörbar zur Seite. Harvey geht direkten Schrittes zum Einstieg. Ich rufe ihm einen Tick zu gereizt hinterher: „Von was gehen Sie dann aus, Harvey?“ Weinfeld hält auf der Gangway inne und dreht sich grinsend zu mir um.„Das die Bagger rollen werden.“ „Das wollte ich hören!“ Ja, genau das wollte ich von dem Arsch hören. Gut so, sehr gut. Harvey erklimmt die Maschine, die Türe schließt sich, woraufhin sogleich lautes Turbinengeheul erklingt. Nicht mehr so brutal donnernd wie die Turbinen der alten Explosionstechnologie, eher in einem hohen Pfeifton schaukelt sich das Geheul hoch. Ich halte mir die Ohren zu. Die Maschine schlägt ihren Weg zur Startbahn ein.

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